"Platz für Individualität statt Selektion"

Die "FN" berichteten am 26.01.2019:

Lehrer machen positive Erfahrungen mit dem neuen Konzept an der Karl-Trunzer-Schule / Eigenständiges Lernen ohne Notendruck

Groß war die Freude im März 2018, als das RP Karlsruhe dem Antrag der Stadt Buchen zustimmte, die Karl-Trunzer-Schule in eine Gemeinschaftsschule umzuwandeln. Seitdem hat sich viel getan am Dr.-Fritz-Schmitt-Ring 3. ...

Ein halbes Jahr Gemeinschaftsschule

"Platz für Individualität statt Selektion"

Die "Fränkischen Nachrichten" berichteten am 26.01.2019:

Lehrer machen positive Erfahrungen mit dem neuen Konzept an der Karl-Trunzer-Schule / Eigenständiges Lernen ohne Notendruck

Groß war die Freude im März 2018, als das RP Karlsruhe dem Antrag der Stadt Buchen zustimmte, die Karl-Trunzer-Schule in eine Gemeinschaftsschule umzuwandeln. Seitdem hat sich viel getan am Dr.-Fritz-Schmitt-Ring 3. Ein halbes Schuljahr ist vorbei und Schüler, Lehrer, Eltern und Rektor Walter Scheuermann sammelten erste - durchgehend positive - Erfahrungen. Scheuermann und die Lehrerinnen Marina Falkenberg, Alexandra Holzschuh und Melanie Rebcak stellten im Gespräch mit den FN das Konzept der Gemeinschaftsschule vor und welche Besonderheiten es aufweist.

Erstmal keine Noten

Der größte Unterschied zum traditionellen Schulsystem, der für die Eltern der Schüler fast ungewohnter ist als für die Kinder selbst, liegt bei den Noten: es gibt keine! Zumindest nicht in den ersten Jahren. "Es ist zwar möglich, auf Elternwunsch den Kindern Noten zu geben, aber wir wollen unser System eigentlich nicht aufbrechen", erklärt Scheuermann. "Wir wollen unsere Schüler individuell im Lernprozess weiterbringen, Noten sind nur selektiv. Es geht mehr um die Ziele als um Zahlen", schildert der Rektor. In der neunten und zehnten Klassen würden dann Noten eingeführt, schließlich gelte es, die Schüler für den Beruf und das Leben vorzubereiten. In der neunten Klasse wird auch bei einem Beratungsgespräch mit den Eltern entschieden, ob es für den Schüler mit der Haupt- oder der Realschule weitergeht. In anderen Schulen fällt diese Entscheidung wesentlich früher, meistens nach der Grundschule. Bisher kam es erst einmal vor, dass Eltern die Noten vorgezogen haben. "Die meisten Kinder kommen mit dem Umstieg ohne Probleme klar, den Eltern fällt das fast schon schwerer."

Der Rektor und die Lehrerinnen haben jedoch bemerkt, dass sich der fehlende Notendruck positiv bemerkbar macht. Lernnachweise müssen die Schüler nach wie vor erbringen. "Jeder erhält die Chance für einen individuellen Lernerfolg. Normalerweise wird an einer Schule im Unterricht ein Thema sechs Wochen bearbeitet, dann gibt es eine Arbeit und das nächste Thema steht an. Wer das vorherige nicht verstanden hat, hat Pech gehabt", meint Walter Scheuermann. Keine klassische Arbeit mit einer Note gibt in der KTS den vermeintlichen Lernstand vor. Die Lehrer führen mit den Kindern regelmäßig Gespräche, halten fest, was gut läuft und woran es hapert - und orientieren sich daran.

Individuelles Lerntagebuch

Dadurch - und mit einem individuellen Lerntagebuch - soll den Kindern bewusst gemacht werden, was sie gelernt haben. Diejenigen, die schon weiter sind als ihre Mitschüler, werden mit neuen Aufgaben gefordert und gefördert. „Die Schüler sollen auch untereinander kontrollieren, sich gegenseitig helfen und selbstständig lernen. Es geht darum, Aufgaben nicht stumpf abzuarbeiten, sondern zu reflektieren, den eigenen Lernerfolg merken und zu verstehen, wie es dazu kam", sagt die Lehrerin Alexandra Holzschuh. Man habe viele der Methoden an der Schule schon vor zwei, drei Jahren eingeführt.

„Glücklicherweise", wie Holzschuh betont, „denn so konnten wir Schritt für Schritt das Konzept inhaltlich weiterentwickeln". Die Verantwortlichen merkten, dass es vor allem am Anfang etwas Zeit benötigt, bis sich die Fünftklässler an das System gewöhnt haben. Auch deshalb sei die Einführungswoche "sehr wichtig, damit die Kinder sich kennen lernen, das System, die Lehrer, das neue Umfeld. der Umstieg von der Grundschule ist nicht ohne", bemerkt Marina Falkenberg. Zusammen mit Holzschuh führt die Lehrerin die Coachinggespräche in einer Klasse. "Am Anfang fällt es den Kindern schwer zu reden, aber nach kurzer Zeit laufen die Gespräche viel besser und kürzer." Der größte Vorteil sei, so erklärt es Melanie Rebcak, dass man sich im Unterricht Zeit nehmen könne für die Schüler. „An anderen Schulen ist das eher nicht möglich", bestätigt sie. Man könne Rücksicht nehmen auf die unterschiedlichen Lernprozesse und Verhaltensweisen. So berichtet Falkenberg von einem Schüler, der ihr im Gespräch mitteilte, dass er sich leicht ablenken lasse, weil er das komplette Klassengeschehen im Blickfeld habe. "Vor der Klasse hätte er das wahrscheinlich nicht zugegeben", vermutet sie. Der Junge wurde umgesetzt, sieht nun nicht mehr alles - und kann sich besser konzentrieren.

Wichtiger Beitrag

Einen wichtigen Beitrag leistet auch die Schulsozialarbeiterin Jasmin Hauck. Sie arbeitet als Vermittlerin zwischen Schülern, Eltern und Lehrern, ist also für alle und jeden Ansprechpartnerin. Auch in der Einführungswoche unterstützt sie oder entschärft Konflikte. "Ich kann auch im Unterricht ein Kind beobachten, um gegebenenfalls eine zweite Meinung beizusteuern", beschreibt sie ihr Aufgabenspektrum. Wie die Lehrerinnen erklären, bekommen die Kinder auch Freiräume, wie etwa außerhalb des Klassenzimmers zu lernen. „Dieses Vertrauen bekommen sie nur, wenn sie auch verlässlich sind", macht Holzschuh klar. Der Unterricht beginnt in der Regel morgens um 7.45 Uhr und endet montags, dienstags und donnerstags um 15.45 Uhr. Freitags ist gegen Mittag Schluss. Ob die Kinder den Mittwochnachmittag freibekommen oder ihn zum betreuten Lernen in der Schule nutzen, das können die Eltern entscheiden. „Von 33 Schülern bleiben bisher 22 jeden Mittwoch da", erklärt der Schulleiter.

Besserer Lernerfolg

Viele Schulen, die den Schritt zu einer Gemeinschaftsschule früher machen durften, hat Scheuermann besucht. Das Feedback sei überall positiv gewesen, „der Unterschied war deutlich: Ohne Notendruck war der Lernerfolg besser". Es würden mehr Schüler mit einer Hauptschulempfehlung erfolgreich einen Realschulabschluss erhalten. Doch nach wie vor würden sich Eltern schwertun mit dem System, es sei schwer, "das Thema bekannt zu machen". Auch die fehlenden Noten spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Dabei sei der erste, noch laufende Durchgang an der Karl-Trunzer-Schule erfolgreich. Scheuermann fordert: „Wir müssen den Blick verändern und vom Schüler aus denken, was für ihn das Beste ist."

Text und Foto: Marcel Sowa, FN

Der FN-Presseartikel "Platz für Individualität statt Selektion" im Original (pdf-Format)